Proteste im Hambacher Forst
Wochenlang versuchte die Polizei die Umweltaktivisten, die sich in selbst gebauten Baumhäusern im Hambacher Forst verschanzt hatten, zu vertreiben. Nun setzte das Oberverwaltungsgericht Münster/NRW einen vorläufigen Rodungsstopp des Gebietes durch, auf dem der Energiekonzern RWE Braunkohle für die Stromerzeugung abbauen will. Umweltschützer aus allen Teilen der Bundesrepublik nahmen an den Kundgebungen teil. Für Katleen und Lorana Schweiger (Namen geändert) war der Aufenthalt im Hambacher Forst in jeder Hinsicht eine Herausforderung.
Bei Gemüse auf Bio, bei Fleisch auf mehr Tierwohl achten, Lebensmittel möglichst ohne Plastikverpackung einkaufen, im Alltag Energie und Ressourcen schonen – das war für Katleen Schweiger schon immer wichtig und diese Werte hat sie auch ihren Kindern von Anfang an vermittelt. Für sie ist Klimaschutz kein blosses Wort mit dem sich trefflich Politik machen lässt, sondern eine persönliche Verpflichtung, die vor der eigenen Haustür beginnt. So war es für die 43-jährige auch keine Frage sich aktiv zu engagieren, als es um den Erhalt des Hambacher Forstes ging.
Viermal war sie mit Tochter Lorana (19) in den vergangenen Wochen vor Ort um sich aktiv gegen die geplante Rodung einzusetzen. Ihre Erlebnisse reichen von Euphorie über den Zusammenhalt der Naturschützer, Freude über den vorläufigen Rodungsstopp bis hin zur Wut über die Klimapolitik. Gewundert hat sie sich nach den umfangreichen Aktionen in Hambach und den Mahnwachen in weiteren Städten über die Berichterstattung in den Medien. “Die paar Sekunden, die dem Grossereignis in den Nachrichten gewidmet wurden, reichten nicht einmal aus, vor dem Fernseher Platz zu nehmen. Zudem stimmten genannte Zahlen oft gar nicht. Bei der ersten Demo war von 7000 Menschen die Rede. Es waren aber mehr als doppelt so viele alleine bei der Kundgebung in Hambach.“
Positiv überrascht hat sie von Anfang an der fesste Zusammenhalt unter den Aktivisten. “Man traf sich zum ersten Mal im Leben und hatte doch sogleich das Gefühl, in einer grossen Familie zu sein. Jeder Neuling im Wiesencamp oder in den Baumhaus-Dörfern war sogleich willkommen. Kinder und Erwachsene bauten gemeinsam an den Barrikaden; jeder so wie er konnte. Zwischendurch wurde gemeinsam gekocht. Auf kleinen Kochern und mitgebrachten Töpfen am Wegesrand. Das schweisst zusammen und hat Freundschaften entstehen lassen. Es war für alle eine abenteuerliche Zeit, wenn auch der Hintergrund ernst war.“
Das Aufeinandertreffen von Aktivisten und Polizei haben die Schweigers als aufregend empfunden, nicht aber als wirkliche Bedrohung. “Mitunter hatten wir das Gefühl, dass die Polizisten zwar ihren Job erledigten, aber mit dem Herzen eigentlich eher auf unserer Seite waren. Zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Beamten kam es während unserer Aufenthalte nicht. Das von RWE eingesetzte Security-Personal war da wesentlich provokanter. Da gab es einige, die griffen völlig grundlos friedliche Aktivisten an und schlugen durchaus auch zu,“ erläutert Katleen Schweiger ihre Erlebnisse und Tochter Lorana ergänzt: “Die Umweltschützer waren auf friedlichen Protest und Widerstand aus. Als in der Gruppe, in der ich mich befand, jemand sich so provoziert fühlte, dass er zu einem Stein griff, hielten alle anderen ihn zurück. Dabei war die Situation manchmal schon wirklich beängstigend: Es wurde versucht uns regelrecht auszuhungern, in dem man verhinderte, dass Lebensmittelnachschub in den Wald gebracht wurde. Nachts standen die Baumhäuser unter Dauerbeleuchtung um den Schlaf zu verhindern. Wirklich zermürbend war aber das ohrenbetäubend laute Kettensägegeräusch vom Tonband, das nachts stundenlang lief.“
Freundschaften entstanden auch zwischen Umweltschützern und Journalisten, die eigentlich berufsmässig zur Kundgebung erschienen waren und sich dann selbst engagierten. Besonders tragisch war, dass es in den in grosser Höhe behelfsmässig zusammengezimmerten Baumhäusern während einer Polizeiräumung im Dorf „Beachtown“ zu einem tödlichen Unfall kam. Spätestens da hatte alle Abenteuer-Ambition ein jähes Ende. „Wir selbst waren nicht in den Baumhäusern; das war uns schon wegen unserer Höhenangst suspekt.“
Ein Journalist, der offenbar eine Speicherkarte wechseln wollte, befand sich ungesichert auf einer selbstgebauten Brücke zwischen zwei Baumhäusern in einer Höhe von knapp 15 Metern, als diese riss und er in die Tiefe stürzte. Zwar konnte er zunächst wiederbelebt werden, verstarb aber kurz darauf im Krankenhaus. Eine Gedenkstätte, die die Aktivisten an der Unfallstelle errichteten, wurde von der Polizei zerstört.
Bemerkenswert fanden Mutter und Tochter auch den Einsatz von Steuerberater und Diplom-Kaufmann Kurt Classen, der bereits vor sieben Jahren ein grosses Wiesengrundstück für 12.500 Euro am Waldrand erworben hatte und dieses nun den Aktivisten als Camp zur Verfügung gestellt hatte. RWE hat ihm 15.000 Euro für den Verkauf geboten; Classen fordert angesichts der zu erwartenden Gewinne 80 Milliarden Euro in Jahresraten von vier Milliarden Euro von dem Konzern. “Für uns hat er alles unentgeltlich gemacht. Zurzeit laufen verschiedene Prozesse gegen ihn. Er weigert sich zu weichen. Für den Erhalt der Wiese und des Hambacher Forstes sammelt er Spenden.“
Von dem noch in den siebziger Jahren mehr als 4000 ha grossen Waldgebiet, in dem unter anderem geschützte Tierarten wie die Bechsteinfledermaus beheimatet sind, sind heute nur noch knapp 200 ha übrig. “Es geht uns nicht um einen generellen Boykott der Stromerzeugung. Es darf aber nicht sein, dass wir unsere letzten Wälder der Energieversorgung opfern. Noch dazu ist die Stromerzeugung durch Braunkohle ganz besonders klimaschädigend,“ sagt Katleen Schweiger: “Es ist schon ein erster Erfolg, dass das Oberverwaltungsgericht Münster die Rodung vorerst gestoppt hat. Ein Grund sich auszuruhen ist das aber nicht. Am kommenden Wochenende sind wir wieder da...“
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