Corona – Die Wirtschaft steht still. Ermöglicht ein Virus die Umsetzung der Klimaziele?
Bei der letzten Klimakonferenz haben die Mitgliedstaaten ihre Klimaziele erneut kundgetan: Im Jahr 2020 sollen allein in Deutschland 40 % weniger CO2 ausgestossen werden als 1990. Noch vor wenigen Wochen galt das ambitionierte Ziel als unerreichbar. Wirtschaftliche Interessen standen hier und anderswo auf der Welt immer vor Umwelt und Natur. Nun zwingt das sich immer weiterverbreitende Coronavirus zum Stillstand. Neben der bestmöglichen Eindämmung der Ansteckungsgefahr zeigen die behördlichen Arbeits- und Ausgangsbeschränkungen sowie Kontaktsperren aber auch noch eine ganz andere Seite: weltweit geht der CO2-Ausstoss messbar zurück. Derzeitige Vorgaben des EU-Klimaziels für 2030 werden gerade sogar unterschritten.
Können die langfristigen Klimaziele “dank“ Corona nun doch eingehalten werden?
In der Bundesrepublik gingen in Vor-Corona-Zeiten 230 Terrawattstunden Strom pro Jahr auf das Konto der Industrie, 130 Terrawattstunden auf Privathaushalte. Nun aber stehen Werke und Gewerbe still. Betriebe, deren Tätigkeiten und Aufgaben nicht systemrelevant sind, haben die Arbeit bis auf Weiteres eingestellt. Solo-Unternehmern, Einzelhändlern und Dienstleistern droht das Aus. Viele Unternehmer verkaufen ihre Emissions-Zertifikate um liquide zu bleiben. Die Preise pro Tonne CO2 fallen, der DAX auch.
Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft könnte das deutsche Bruttoinlandsprodukt um bis zu 8,7 % zurückgehen. In China, wo Ende 2019 die Pandemie ihren Anfang nahm, ist zu Anfang des Jahres 2020 der Luftverkehr um mehr als 4 % zurückgegangen. 25 Flughäfen des Landes haben ihre Flüge um 80 % eingeschränkt.
“Die Gesundheit der Menschen geht einfach vor, “ heisst es allenthalben. Experten rechnen mit Wirtschaftseinbrüchen von bis zu 729 Milliarden Euro bei einem dreimonatigen Shutdown in Deutschland. Sie prognostizieren aber auch eine CO2-Einsparung von bis zu 100 Millionen Tonnen! Was Wissenschaftlern und der weltweiten Friday-For-Future-Bewegung trotz eindringlichster Warnungen nicht gelungen ist, fordert die schnellstmögliche Eindämmung der Pandemie nun konsequent ein.
Was nicht produziert wird, muss auch nicht befördert werden. Transportwege von Gütern per Bahn, Lastwagen, Schiff oder Flieger fallen damit ebenfalls weitgehend aus. Pendler nutzen zwecks Home-Office weder das eigene Auto noch öffentliche Verkehrsmittel. Die Bahn hat den Einsatz ihrer Züge drastisch gesenkt. Vielflieger und Langstreckenfahrer entdecken Videokonferenzen. Wer es eben kann bleibt in den eigenen vier Wänden.
Restaurants, Bars, Cafés, Friseursalons und ähnliche Einrichtungen, die nicht der unmittelbaren Daseinsvorsorge dienen, sind geschlossen. Konzerte und Grossveranstaltungen fallen aus. Wo selbst Arztbesuche und Einkäufe zur Herausforderung werden, überlegen sich die meisten Menschen zweimal, ob ein Gang überhaupt notwendig ist. Kein Tourismus, keine überlaufenen Innenstädte, kaum Verkehr. Der Bedarf an Strom und Treibstoffen sinkt. Infolgedessen kommt es flächendeckend zu weniger Emissionen.
Erstmalig hat damit nicht das Wirtschaftswachstum höchste Priorität, sondern die Gesundheit jedes Einzelnen. Für die Umwelt bedeutet ein Weniger am öffentlichen Leben, Industrie und Verkehr also ein Mehr!
In den sozialen Netzwerken kursieren Bilder und Berichte über Wildtiere, die schon nach kürzester Zeit die verlassenen Städte als Lebensräume wiederentdecken. So sollen bereits Wildschweine im menschenleeren Madrid und Delfine vor der Küste von Triest gesichtet worden sein. In den wegen des ausbeliebenden Gondel-Verkehrs ungetrübten Kanälen von Venedig sieht man Fischschwärme. Besonders eindrucksvoll sind die Bilder von zahlreichen Hirschen in japanischen Städten. In Peking ist der Himmel klar, kein Smog mehr. Keine Spaziergänger stören die Brutgebiete von Vögeln. Amphibien wandern gefahrlos über sonst stark befahrene Strassen.
Die Geschwindigkeit, mit der zurzeit Veränderungen messbar und sichtbar werden, zeigt, wie schnell die Erde „genesen“ würde, sollte die Menschheit sich tatsächlich auf ein Leben im Einklang mit der Natur besinnen. Selbst wenn das 1,5 Grad-Ziel bei einer dauerhaften Fortsetzung der Beschränkungen nicht erreicht werden könnte, so würde sich die weitere Erderwärmung doch sehr verlangsamen.
Es erinnert ein bisschen an den Spielfilm Jumanji – oder auch an die Zustände in der Sperrzone von Tschernobyl, wo sich die Natur zurückerobert hat, was der Mensch wegen der Strahlenbelastung zwangsweise nicht mehr bewohnen kann. Mit dem Unterschied nur, dass letzteres eine regionale, dauerhafte Besonderheit und die augenblickliche globale Situation dagegen nicht mehr als eine vorübergehende Momentaufnahme ist.
So erstaunlich und so wünschenswert die Rückkehr der Natur auch wäre, es ist wohl nicht möglich, die Uhr zurück zu drehen. Es ist mit grosser Sicherheit davon auszugehen, dass die Menschheit mit einem Sieg über die Pandemie und dem Ende aller Beschränkungen in kürzester Zeit zum gewohnten Umgang mit Ressourcen und Energie zurückkehren wird. Die Verwirklichung von Klimazielen könnte nur erreicht werden, wenn die Emissionen von Industrien, Verkehr und Haushalten langfristig reduziert würden.
Solange die Krise für uns Menschen andauert, solange hat die Natur eine Verschnaufpause. Mit dem Ende der Pandemie und der „Normalisierung“ menschlichen Lebens und Handelns wird sich auch die alte Situation wieder einstellen. Die Tiere werden sich wieder zurückziehen.
Der letzte natürliche Feind der Menschheit verschafft der Natur derzeit eine Auszeit, obwohl auch Tiere vom Erreger nicht verschont bleiben. Aber es gibt auch bei der Tierwelt negative Effekte.
So führt beispielsweise ein immer noch herrschender Aberglaube in China dazu, in dieser Zeit wieder versmehrt wilde Bären zu fangen und wegen ihrer Galle auszubeuten. Der Stoff soll angeblich besser zur Heilung geeignet sein, als Schulmedizin.
Stadttauben, die von den Hinterlassenschaften und Essensresten der Menschen lebten, leiden Hunger. Mancherorts kümmern sich Tierschützer um eine artgerechte Fütterung. Allerdings gelten die Vögel in den meisten Orten nicht als Sympathieträger und man nimmt ihre Not in Kauf.
Unter dem ausbleibenden Tourismus leiden in Thailand nicht nur Hotel- und Gaststättengewerbe, sondern auch die Elefanten, die bisher als (fragwürdige) Touristenattraktion eingesetzt wurden. Die Tiere benötigen grosse Mengen Futter, die ihre Besitzer nun nicht mehr aufbringen können. Es steht zu befürchten, dass einige der Dickhäuter eingeschläfert werden müssen.
Witz mit fadem Beigeschmack:
„Zwei Planeten treffen sich zufällig in der Weite des Weltraums. Einer davon ist die Erde. Die beiden haben sich lange nicht gesehen und so wird der blaue Planet nach seinem Wohlbefinden gefragt. Die Erde macht einen kranken Eindruck und antwortet, es ginge ihr nicht wirklich gut. Sie habe derzeit Menschen.
Tatsächlich sieht man die Zweibeiner wie einen überstarken Schädlingsbefall auf der Erde. Sie hüpfen auf dem Planeten herum wie Flöhe auf einem Hund. Der andere Planet bedauert und tröstet: „Mach` dir nichts daraus – das geht vorbei!“
Das Lachen bleibt einem wohl im Halse stecken. In den Zeilen steckt eine Menge Wahrheit. Obwohl wir wissen wie es um unsere Erde (und damit um unsere eigene Zukunft) bestellt ist, sägen wir ungeniert weiter an dem Ast auf dem wir sitzen. Im bildlichen Sinne hat Corona uns die Säge gerade aus der Hand genommen und sie ganz hoch aufgehängt. Wie lange wird es wohl dauern bis wir sie wieder erreichen?
China, das nach eigenen Angaben die Pandemie zum grössten Teil überwunden und im Griff hat, fährt die Industrie schon wieder hoch. Corona hat die Weltwirtschaft schwer getroffen. Wie China geht es allen Ländern rund um den Globus. In Bezug auf den Flugverkehr könnte die Epidemie nach der kurzfristigen Einsparung von Emissionen sogar einen negativen Effekt haben. Die Branche könnte mit Verweis auf wirtschaftliche Probleme weitere Klimaschutzmassnahmen und nationale Steuerprojekte im Flugbereich in Frage stellen, wie in den Niederlanden und Frankreich bereits geschehen.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sprach von einem absoluten Ausnahmezustand, der im Kampf gegen die Erderwärmung aber nicht langfristig helfe. Massnahmen gegen die Klimaerwärmung blieben nach wie vor von grosser Wichtigkeit. „Nach der Krise sind die Emissionen wieder da,“ erklärte auch der Präsident des Umweltbundesamtes Dirk Messner.
Wieviel CO2 durch die Pandemie tatsächlich eingespart wird, bleibt also davon abhängig, wie lange es dauert bis ein wirksamer Impfstoff dem Erreger Einhalt gebietet. Auch wenn sich eine momentane potentielle Einsparung der Emissionen von bis zu 100 Millionen Tonnen fantastisch anhört - für den langfristigen Klimaschutz wäre damit nicht viel gewonnen.
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