COVID 19, Die Rache aus dem Regenwald?

Spätestens seit Beginn der Industrialisierung gehen von der Natur für uns keine Gefahren mehr aus. Oder doch?

COVID 19, Die Rache aus dem Regenwald?
Kategorie
Klimaschutz
Letztes Update
23/5/2020

Spätestens seit Beginn der Industrialisierung gehen von der Natur für uns keine Gefahren mehr aus. Oder doch? Ist Covid 19 die Strafe für unseren Missbrauch an der Natur?

Es mag verwundern – auch wir Menschen in der zivilisierten, westlichen Welt haben noch natürliche Feinde. Allerdings sind diese letzten Widersacher mit blossem Auge nicht zu sehen. Viren entziehen sich wie kaum eine andere Spezies auf diesem Planeten, der menschlichen Kontrolle. Das gelingt ihnen durch ständige Mutation. Impfstoffe zu ihrer Eindämmung zu entwickeln ist eine langwierige Aufgabe.

Ebenso langwierig scheint es zu sein, die Menschheit davon zu überzeugen, dass unser Lebensstil unseren Planeten zerstört. Was Wissenschaftlern und Umweltaktivisten trotz aller dringlichen Appelle nicht gelungen ist, schafft ein Virus seit Beginn des Jahres: Die Industrie fährt zurück und mit ihr der Ausstoss klimaschädigender Gase. Wer in unserer abgeklärten Welt tatsächlich noch an eine übermenschliche Macht glaubt, der könnte meinen, die Natur habe die Winzlinge als letztes Mittel gegen ihre Zerstörung in die Schlacht geschickt. Um diesen Ansatz, wenn auch pragmatischer, kommt man allerdings auch bei wissenschaftlicher Betrachtung nicht ganz herum.

Ein Virus erobert die (Menschen)Welt

Aus einem Labor entwichen oder durch Wildtiere verbreitet - noch immer kann die Frage, wie sich; SARS-CoV-2, auch COVID 19 oder Coronavirus genannt; ausbreiten konnte und woher es stammt, nicht eindeutig geklärt werden. Zu dieser Unsicherheit kommen zahlreiche Verschwörungstheorien noch hinzu. Wäre das Virus (ob mit Absicht oder versehentlich) durch Wissenschaftler verbreitet worden, so wäre dies tragisch genug. Zumindest wäre damit aber ein Schuldiger benannt. Aber ist die Variante der Infektion über den Kontakt mit Tieren wirklich weniger bedeutsam als der Verdacht der gezielten Freisetzung einer biologischen Waffe?

Während man im letzteren Falle den Wissenschaftlern eines Labors in China die Verantwortung an der Pandemie geben könnte, müsste sich im ersten Falle jeder einzelne einer Mitschuld bewusst werden. Es ist in der Tat an Grausamkeit kaum zu überbieten, was in China mit Wild- und Haustieren vor den Augen der Öffentlichkeit geschieht. Für den Rest der Welt (insbesondere der Industrienationen) ist dies allerdings kein Grund, sich besser zu fühlen. Was hinter verschlossenen Türen in unseren Tierfabriken, Schlachthöfen und auf Transporten geschieht, ist im Sinne des Tierschutzes nicht minder fragwürdig und ausserdem ebenfalls Brutstätte für zahllose Keime und Viren. Mikroskopisch klein zeigen sie uns, welch zerstörerische Kraft sie freisetzen können und dass auch die Menschheit, soweit sie es auch immer geschafft hat sich von der Natur abzunabeln, ein Teil von ihr geblieben ist.

Forscher gehen mehrheitlich von der Übertragung durch Wildtiere aus

Obwohl bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, ob und von welchen Tieren das Virus auf den Menschen übertragen wurde, darf man nach den bisherigen Erkenntnissen wohl davon ausgehen, dass der als Bushmeat auf chinesischen Märkten praktizierte Wildtierhandel, der Ursprung der Pandemie ist.

In der engeren Auswahl stand zunächst das Pangolin (ein Schuppentier, wegen seines skurrilen Äusseren auch Tannenzapfentier genannt), dann die Hufeisennase (eine in Ostasien vorkommende Fledermausart) und der Larvenroller, eine von Indien bis zu den Philippinen verbreitete Schleichkatze. Im Verdacht stehen auch Schlangen. In engen Käfigen und zusammengeschnürt leiden all diese Tiere nicht nur als Individuen unvorstellbare Qualen, es handelt sich bei vielen obendrein um streng geschützte Arten.

Die “Rache aus dem Regenwald“ kommt nicht von ungefähr: Selbst vom Aussterben bedrohte Tiere werden vielerorts noch immer stark bejagt als Lebensmittel angeboten. Viele der Tiere sind Wirte für Viren, für die es dann Dank unhygienischer Zustände bei der Haltung, Schlachtung und Verkauf, ein Leichtes ist, auf den Menschen überzuspringen. Die Globalisierung hat es dem Virus ermöglicht, sich in kürzester Zeit von einem chinesischen Markt in Wuhan über die ganze Welt zu verbreiten.

Durch Unkenntnis und Ignoranz der Übertragungswege kommt es nicht nur in den Provinzen Chinas zu einem fatalen Teufelskreis, der dem Virus weiter Vorschub leistet. Während Staatschefs wie Trump und Bolsonaro lange Zeit die Pandemie verharmlost und verleugnet und damit unzählige Menschen in grosser Gefahr gebracht haben, setzt man in China vielfach immer noch auf traditionelle Medizin. Diese wird ebenfalls von möglicherweise infizierten Wildtieren gewonnen. Nicht nur unaufgeklärte Bevölkerungsschichten hängen dem Aberglauben nach, dass Bärengalle oder getrocknete Bestandteile von Pythons, Nashörnern, Tigern, Affen, Flughunden etc. Krankheiten heilen, sondern auch Staatspräsident Xi Jingping.

Bakterien, Viren, multiresistente Keime

COVID-19 ist nicht die erste Pandemie, die sich aufgrund des Kontakts mit Tieren länderübergreifend ausbreiten konnte. Ähnlich verhielt es sich 1918 mit der Spanischen Grippe, auch Mutter aller Pandemien genannt, der mehr Menschen zum Opfer fielen als dem Ersten Weltkrieg. 1977 folgte die Russischen Grippe, 1957 die Hongkong-Grippe. In den achtziger Jahren das HIV-Virus. Auch das Nipah-Virus  ist eine Zoonose; also von Tieren auf den Menschen übertragen. Vermutlich wurde auch das gefürchtete Ebolavirus von Fledermäusen ausgelöst.

Das im Jahr 1947 bei einem Affen aus dem Zikawald in Uganda entdeckte Zikavirus, verbreitete sich seitdem rasant vor allem in Afrika und Lateinamerika. Übertragen wird es von Stechmücken, ist aber auch im menschlichen Urin und Speichel nachweisbar. Auch die auf den Menschen seltener übertragene Seuchen wie die Vogelgrippe und die Schweinegrippe im Jahr 2009, verbreiteten sich auf ähnlichen Wegen. (Da Menschen und Schweine für Viren ähnlich angreifbar sind, stellt sich die Frage, ob eine Übertragung des Coronavirus von Schlachtvieh auf den Menschen ebenfalls denkbar wäre.) 2011 breitete sich SARS aus, dann MERS.

Es sind zurzeit rund 200 Krankheiten bekannt, die bei Tieren und bei Menschen vorkommen und von einer Spezies zur anderen übertragen werden können. Neben Viren und Bakterien können auch Pilze, Prionen, Protozoen, Helminthen und Arthropoden Erreger sein. Nicht alle Zoonosen sind auf Fleischkonsum zurückzuführen, wohl aber auf einen unbedachten Umgang mit Tieren. Es sind die Veränderungen unserer natürlichen Umwelt, die zu neuartigen Krankheiten führen. Vor diesem Hintergrund macht es wenig Sinn, China allein die Schuld für die Ausbreitung der Corona-Pandemie zu geben.

Im Zusammenhang mit der Corona-Krise offenbarten sich auch in Deutschland skandalöse Zustände in der Fleischindustrie. Wo unzählige Individuen auf engstem Raum unter unhygienischen Bedingungen zusammengepfercht sind, besteht stets die grosse Gefahr eines Ausbruchs von Seuchen. In der Massentierhaltung werden gegen Bakterien Antibiotika schon prophylaktisch eingesetzt, bevor sie Krankheiten auslösen können. Gegen einige Krankheiten kann man impfen, gegen andere nicht.

Die katastrophalen Zustände betreffen aber nicht nur das unglückselige Nutzvieh, sondern auch die Arbeiter in der Fleischindustrie. In der Regel aus Osteuropa stammend, leben diese von Subunternehmen eingestellten, modernen Arbeitssklaven ohne Privatsphäre mit mehreren Personen in einem Raum, teilen sich Küche und Bäder. Sich aus dem Weg zu gehen ist nahezu unmöglich. Mitarbeiter der Firma Westfleisch haben sich auf diese Weise zu Hunderten mit dem Coronavirus infiziert.

Der Preis für unser ungebremstes Wirtschaftswachstum, für immer mehr und immer billigeres Fleisch, den die Natur, Tiere und Arbeitskräfte aus Billiglohnländern zu zahlen haben, war nie ein Geheimnis. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass uns früher oder später dieses “Höher-Schneller-Weiter“-Streben auf die Füsse fallen würde. Durch die erschreckenden Infektionszahlen der Mitarbeiter in deutschen Fleischfabriken, hat das Bundeskabinett nun zumindest beschlossen, die Unterbringungs- und Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Vergabe an Subunternehmen künftig zu unterbinden. Warum die Politik erst jetzt im Wahlkampf und angesichts der Angst vor weiteren Coronafällen reagiert, bleibt offen. Auf mehr Tierwohl und Umweltschutz wartet man nach wie vor vergeblich.

Ohne die Corona-Pandemie hätten uns die katastrophalen Zustände in den Schlachthöfen und die Ausbeutung der Billigarbeitskräfte auch weiterhin nicht gestört. Nun aber führt nicht nur in Deutschland die Angst vor Corona zur Schliessung von Schlachthöfen. Auch die weltweit grössten Fleischunternehmer mit Sitz in den USA haben ihren Betrieb eingestellt, beziehungsweise extrem heruntergefahren. Die Albert Schweitzer Stiftung, FAO, OIE und WHO fordern Wirtschaft, Wissenschaft und Politik auf, einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch von Seuchen und der Massentierhaltung in Betracht zu ziehen und gleichzeitig die Produktion vegetarischer Fleischalternativen zu fördern.

Übertragung durch Nutzvieh?

Inwiefern begünstigen Schlachthöfe die Ausbreitung des Virus? Ist allein das Zusammenleben der Mitarbeiter auf engstem Raum ausschlaggebend, oder auch ihr Umgang mit Fleisch und Tieren? Zwar ist noch immer nicht eindeutig geklärt, ob von Haustieren überhaupt eine Ansteckungsgefahr ausgeht. Wenn aber Wildtiere als Zwischenwirte gelten und der Handel mit ihnen und ihrem Fleisch auf ostasiatischen Märkten Ausgangspunkt für die Pandemie war, können dann Nutztiere und Schlachthöfe in unseren Breiten generell unbedenklich sein?

Die Lebensmittelindustrie und Agenturen für Gesundheit und Ernährungssicherheit beruhigen: von Fleisch und Fleischerzeugnissen, Eiern, Milch und Milcherzeugnissen sowie pflanzlichen Nahrungsmitteln gehe, was Corona betrifft, keine Gefahr aus. Es gäbe zurzeit keine Hinweise auf eine Übertragung des Virus über verarbeitete Lebensmittel. Dies sei bei SARS und MERS nicht der Fall gewesen und daher wahrscheinlich auch nicht bei COVID-19. Der Grund dafür sei, dass das Coronavirus einen lebenden Zwischenwirt braucht, um zu wachsen.

Als Zwischenwirt kommen allerdings zahlreiche Tierarten und der Mensch infrage. Veterinärmedizinische Untersuchungen haben bisher in Hunden, Katzen, Rindern, Geflügel und Schweinen den Erreger nicht eindeutig nachweisen können. Unsicherheit besteht allerdings dennoch, ob durch den Verzehr von rohem Fleisch oder Eiern eine Übertragung stattfinden kann und ob es möglich ist, dass infizierte Mitarbeiter in der Lebensmittelbranche das Virus durch Tröpfeninfektion verbreitet haben könnten.

Industrielle Fleischproduktion und ihre Auswirkung auf Mensch und Umwelt

Fakt ist: Der übermässige Fleischkonsum macht auch ohne das Zutun des Virus krank. Dafür sorgt nicht allein der Antibiotikaanteil im Fleisch, der Resistenzen bei Bakterien und gegen Arzneimittel auslösen kann. Zu viel Fleisch führt zu zahlreichen Erkrankungen wie Übergewicht, Schlaganfällen, Herzinfarkten, Diabetes und Krebs. Die Gülle belastet das Grundwasser, Methangas die Atmosphäre, der Futteranbau die Regenwälder. Alles zusammen ist massgeblich mitverantwortlich für den Anstieg der Klimaerwärmung.

Nahezu alle in den letzten Jahrzehnten aufgetretenen Epidemien und Pandemien hatten ihren Ursprung im Umgang des Menschen mit Tieren. Daraus sollten Lehren gezogen werden. Unsere hartnäckigen Lernresistenzen könnten uns noch schneller an den Punkt bringen, auf den wir schon jetzt trotz aller Warnungen unbeirrt zusteuern: Zur Rache aus dem Regenwald.

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